Kündigungsschutz von Schwerbehinderten

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Arbeitnehmer genießen grundsätzlich einen ausgezeichneten Kündigungsschutz. Schwerbehinderte sind sogar noch besser vor Kündigungen geschützt. Die Anforderungen an die Entlassung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers sind daher im Regelfall hoch. 

Welchen Kündigungsschutz schwerbehinderte Arbeitnehmer genießen, zeigen wir Ihnen in diesem Beitrag.

Inhalt

1. Wann gilt man als schwerbehindert?
2. Welche Besonderheiten gelten im Rahmen der Kündigung?
         a) Zustimmung des Integrationsamtes
         b) Anhörung der Schwerbehindertenvertretung 
         c) Kündigungsfrist
3. Wann greift der besondere Kündigungsschutz ausnahmsweise nicht?
4. Was ist der allgemeine Kündigungsschutz?
5. Wie verhalte ich mich bei Erhalt einer Kündigung?
6. Was ist bei Kündigung durch den Arbeitnehmer zu beachten?
7. Fazit

1. Wann gilt man als schwerbehindert?

Eine Behinderung setzt eine körperliche, seelische oder geistige Beeinträchtigung voraus. Diese Beeinträchtigung muss voraussichtlich mindestens sechs Monate anhalten. 

Beispiele:

Verlust eines Körperteils (Bein, Arm oder Hand)
Schwerer Schlaganfall (mit Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten)
Verlust einer Sinneswahrnehmung (Erblindung, Hörverlust)

Sie können sich aber nicht schon bei jeder Behinderung auf den besonderen Kündigungsschutz für Schwerbehinderte berufen. Von einer Schwerbehinderung spricht man erst, wenn der Grad der Behinderung (GdB) mindestens 50 beträgt (§ 2 Abs. 2 SGB IX). Ausnahmsweise können Arbeitnehmer mit einem GdB von wenigstens 30 Schwerbehinderten gleichgestellt werden, sofern Sie aufgrund ihrer Behinderung vergleichbare Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt haben (§ 2 Abs. 3 SGB IX).

Wollen Sie sich gegenüber Ihrem Arbeitgeber auf Ihre Schwerbehinderung berufen, ist ein Nachweis der Beeinträchtigung notwendig. Dazu können Sie sich an Ihr Versorgungsamt wenden und die Behinderung feststellen lassen. 

Ein frühzeitiger Antrag ist vor allem deshalb wichtig, damit Sie Ihrem Arbeitgeber die Schwerbehinderung bereits vor der Kündigung anzeigen können. Denn Sie sind nur dann vor einer Kündigung besonders geschützt, wenn bereits bei Entlassung die Schwerbehinderung nachgewiesen ist. Es genügt aber auch, wenn Sie den Feststellungsantrag spätestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung gestellt haben und den Arbeitgeber über den Antrag informieren.

Haben Sie sich hingegen nicht um die Feststellung Ihrer Schwerbehinderung gekümmert, können Sie sich auch nicht auf den besonderen Kündigungsschutz berufen. Dies gilt nur dann nicht, wenn Ihre Schwerbehinderung offensichtlich ist.

Beispiel: Arbeitnehmer A hat bei einem Fabrikunfall ein Bein verloren und sitzt im Rollstuhl. Die Schwerbehinderung ist für seinen Arbeitgeber auf den ersten Blick erkennbar.

2. Welche Besonderheiten gelten im Rahmen der Kündigung?

Können Sie sich auf den besonderen Kündigungsschutz für Schwerbehinderte berufen, muss der Arbeitgeber bei Ihrer Kündigung folgende Sonderregeln beachten: 

a. Zustimmung des Integrationsamtes

Vor der Kündigung muss Ihr Arbeitgeber zunächst die Zustimmung des Integrationsamtes einholen. Dies gilt selbst bei einer fristlosen Kündigung. Das Integrationsamt nimmt dabei eine Vermittlungsfunktion ein. Es wirkt auf eine gütliche Einigung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer hin.

Das Amt geht dabei wie folgt vor:

  • Es holt zunächst eine Stellungnahme des Betriebsrates oder des Personalrates ein. 
  • Daneben holt es eine Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung ein. 
  • Außerdem hört das Integrationsamt den schwerbehinderten Arbeitnehmer an und gibt ihm Gelegenheit, sich zur Kündigung zu äußern.
  • Anschließend wägt das Integrationsamt die Belange des Arbeitnehmers mit den Interessen des Arbeitgebers ab. Grundsätzlich steht es in seinem Ermessen, die Zustimmung zu erteilen. Ergeht die Kündigung gerade aufgrund der Schwerbehinderung, wird das Integrationsamt den Sachverhalt aber besonders kritisch prüfen. Je weniger die Entlassung im Zusammenhang mit der Schwerbehinderung steht, desto eher gibt das Amt grünes Licht. 

Erteilt das Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung, kann der Arbeitgeber die Kündigung nur innerhalb eines Monats nach Erteilung der Zustimmung aussprechen.

Sobald das Verfahren vor dem Integrationsamt beginnt, sollten Sie einen Anwalt aufsuchen. Denn Fehler im Rahmen des beschriebenen Verfahrens führen nicht automatisch zur Unwirksamkeit der Zustimmung. Sie können allerdings durch Widerspruch aktiv gegen diese Fehler vorgehen und somit der Kündigung entgegenwirken.

b. Anhörung der Schwerbehindertenvertretung 

Auch der Arbeitgeber muss vor Ausspruch der Kündigung die Schwerbehindertenvertretung über die Kündigung unterrichten und anhören. Andernfalls ist die Kündigung unwirksam (§ 178 Abs. 2 SGB IX). Daneben muss der Arbeitgeber weiterhin auch den Betriebsrat anhören.

c. Kündigungsfrist

Im Rahmen der Kündigungsfrist gelten grundsätzlich die normalen Regeln. Je länger Sie für Ihren Arbeitgeber tätig waren, desto länger ist auch die Kündigungsfrist (§ 622 BGB). Insbesondere der Tarifvertrag kann Abweichungen hiervon vorsehen. 

Das Gesetz stellt aber ergänzend klar, dass die Kündigungsfrist bei Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers mindestens vier Wochen betragen muss (§ 169 SGB IX). 

Sie sehen, dass Sie vor einer Kündigung gut geschützt sind. Seien Sie deshalb vorsichtig, wenn der Arbeitgeber gleichzeitig mit der Kündigung einen Aufhebungsvertrag vorlegt. Unterschreiben Sie nicht voreilig. Sie geben damit Ihren guten Kündigungsschutz auf!

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Ausführliche Informationen über die Kosten einer anwaltlichen Vertretung erhalten Sie hier:

3. Wann greift der besondere Kündigungsschutz ausnahmsweise nicht?

In einigen Fällen können sich Arbeitnehmer trotz ihrer Schwerbehinderung nicht auf den besonderen Kündigungsschutz berufen (§ 173 SGB IX):

  • Das Arbeitsverhältnis besteht noch nicht seit mindestens sechs Monaten. Entscheidender Zeitpunkt ist der Zugang der Kündigungserklärung. 
  • Haben Sie bereits das 58. Lebensjahr vollendet, steht Ihnen unter Umständen kein besonderer Kündigungsschutz mehr zu. Das gilt dann, wenn Ihnen eine Abfindung oder eine vergleichbare Geldzahlung zusteht, z.B. aufgrund eines Sozialplans. Denn in diesem Fall sind Sie bereits zur Genüge abgesichert.
  • Sonderkündigungsschutz besteht auch nicht auf Arbeitsplätzen im Sinne von § 156 Abs. 2 Nr. 2-5 SGB IX. Gemeint sind Arbeitsplätze, die nicht primär der Erwerbstätigkeit dienen. Sie zeichnen sich durch andere Zwecke, wie z.B. die Integration schwerbehinderter Menschen sowie karitative oder religiöse Motive, aus. Dazu zählen beispielsweise auch Arbeitsplätze in Behindertenwerkstätten.
  • Außerdem greift der Sonderkündigungsschutz regelmäßig nicht bei einverständlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dazu zählt vor allem ein Aufhebungsvertrag mit schwerbehinderten Arbeitnehmern

Insbesondere der letzte Punkt ist wichtig. Sie sollten sich gut überlegen, ob Sie einen Aufhebungsvertrag unterzeichnen. Denn dadurch schmälern Sie Ihre Chancen, sich erfolgreich gegen die Kündigung zu wehren. Sollten Sie von Ihrem Arbeitgeber mit einem Aufhebungsvertrag konfrontiert werden, empfehlen wir Ihnen, zunächst einen Fachanwalt für Arbeitsrecht aufzusuchen. Herr Gradl berät Sie, ob ein Aufhebungsvertrag oder eine Kündigung die bessere Wahl ist.

4. Was ist der allgemeine Kündigungsschutz?

Schwerbehinderte Arbeitnehmer können sich neben ihrem besonderen Kündigungsschutz selbstverständlich auch auf den allgemeinen Kündigungsschutz berufen, der allen Arbeitnehmern zusteht. Folgende Bedingungen müssen aber erfüllt sein:

  • Das Arbeitsverhältnis besteht schon seit mindestens 6 Monaten
  • Im Betrieb arbeiten mehr als 10 Arbeitnehmer

Der Arbeitgeber kann dem schwerbehinderten Arbeitnehmer dann nur kündigen, wenn er einen betriebs-, personen- oder verhaltensbedingten Kündigungsgrund hat.

Bei der betriebsbedingten Kündigung, welche aufgrund des Abbaus von Arbeitsplätzen im Betrieb ergeht, genießen schwerbehinderte Arbeitnehmer einen Bonus. Denn vor einer solchen Kündigung muss der Arbeitgeber stets eine Sozialauswahl treffen. Er muss also prüfen, welchen Arbeitnehmer die Kündigung am wenigsten hart trifft und diesem zuerst kündigen. Neben dem Lebensalter, Unterhaltspflichten und der Betriebszugehörigkeit ist dabei insbesondere auch eine Schwerbehinderung zu berücksichtigen. 

Auch eine personenbedingte Kündigung ist meist nicht leicht. Haben Sie aufgrund Ihrer Schwerbehinderung viele Fehlzeiten, kann Ihnen der Arbeitgeber zwar grundsätzlich kündigen, es müssen aber auch zukünftig umfassende Fehlzeiten zu erwarten sein. Daneben darf kein anderer Arbeitsplatz für Sie in Betracht kommen, der Ihren Leiden gerecht wird. Außerdem sind Ihre Interessen und insbesondere Ihre Schwerbehinderung umfassend zu berücksichtigen. Nach sechs Wochen zusammenhängender Arbeitsunfähigkeit schuldet Ihnen der Arbeitgeber auch keinen Lohn mehr – er muss dann gut begründen können, warum Sie dennoch die betrieblichen Interessen beeinträchtigen und deshalb entlassen werden können.   

5. Wie verhalte ich mich bei Erhalt einer Kündigung?

Aufgrund Ihrer Schwerbehinderung sind Sie grundsätzlich hervorragend vor Kündigungen geschützt. Sie sollten bei einer Kündigung daher schnell einen Anwalt für Kündigungen aufsuchen. Neben den üblichen Kündigungsmängeln können wir auch Widerspruch gegen die Zustimmung des Integrationsamtes einlegen und weitere besondere Verfahrensfehler rügen. Bei diesen Schritten beraten wir Sie gerne.

Sie müssen sich aber beeilen! Eine Kündigungsschutzklage ist nur innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Kündigung möglich. Danach ist die Kündigung in jedem Fall wirksam. Wir empfehlen Ihnen aber ausdrücklich, bereits bei ersten Anzeichen einer drohenden Kündigung Rechtsrat einzuholen. Unter Umständen können wir dann bereits den Ausspruch der Kündigung abwenden.

6. Was ist bei Kündigung durch den Arbeitnehmer zu beachten?

Wollen Sie selbst Ihr Arbeitsverhältnis kündigen, spielt der Kündigungsschutz zwar keine Rolle, sie müssen aber einige Besonderheiten beachten. 

Kündigen Sie Ihr Arbeitsverhältnis ohne berechtigten Grund, kann Ihnen das Integrationsamt im Benehmen mit der Bundesagentur für Arbeit den besonderen Schutz aufgrund Ihrer Schwerbehinderung für bis zu sechs Monate entziehen (§ 200 SGB IX). Allerdings muss das Integrationsamt Sie vor dieser Entscheidung anhören. Auch drohen Einbußen beim Arbeitslosengeld.

Sollten Sie eine Kündigung in Betracht ziehen, ist es daher ratsam, sich vorher mit einem Fachanwalt für Arbeitsrecht zu beraten. Nicht jede Kündigung führt zwangsläufig zu einem Verlust des Schwerbehindertenschutzes. Durch vorherige Beratung können Sie Unannehmlichkeiten von vornherein ausschließen.

7. Fazit

  • Schwerbehinderte Arbeitnehmer und Gleichgestellte genießen regelmäßig einen besonderen Kündigungsschutz.
  • Die Schwerbehinderteneigenschaft wird behördlich überprüft und muss bei Kündigung feststehen.
  • Der besondere Kündigungsschutz greift erst ab einer sechsmonatigen Beschäftigungsdauer im Betrieb. 
  • Vor Ausspruch der Kündigung ist die Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen.
  • Das Integrationsamt holt Stellungnahmen des Betriebsrates und der Schwerbehindertenvertretung ein. Zudem hört es den Arbeitnehmer an und informiert diesen über die Kündigungsabsicht.
  • Außerdem muss auch der Arbeitgeber vor Kündigung die Schwerbehindertenvertretung informieren und anhören. Andernfalls ist die Kündigung unwirksam.
  • Der schwerbehinderte Arbeitnehmer kann sich auch auf den allgemeinen Kündigungsschutz berufen.
  • Bei betriebsbedingten Kündigungen ist der schwerbehinderte Arbeitnehmer vor allem durch die Sozialauswahl geschützt.
  • Kündigt der Arbeitnehmer selbst, wird womöglich der  Schwerbehindertenschutz entzogen.

Wir beraten Sie.

Rechtsanwalt Georg Gradl ist Experte für Aufhebungsverträge und erfahrener Fachanwalt für Arbeitsrecht. Schreiben Sie uns gerne Ihre Fragen per E-Mail oder rufen Sie uns an.

Eine kompetente Erstberatung, die auch die Prüfung Ihrer Unterlagen beinhaltet, bieten wir Ihnen zu einem Pauschalhonorar in Höhe von 250,00 € zzgl. USt. an.

Wenn Sie uns nach einer Erstberatung mit der Übernahme Ihres Falles beauftragen möchten, besprechen wir mit Ihnen vor der Mandatierung selbstverständlich die zu erwartenden weiteren Kosten und die Möglichkeiten einer Kostenübernahme durch eine Rechtsschutzversicherung oder durch den Arbeitgeber.

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